Lesung und Gespräch — Daniel Schreiber und Yirgalem Fisseha Mebrahtu

Lesung & Gespräch

Daniel Schreiber und
Yirgalem Fisseha Mebrahtu

Daniel Schreiber
Das Grau der Trauer

Schwarz ist die Farbe der Trauer, zumindest in ihren abendländischen Ritualen, das absolute, alles Licht in sich aufnehmende und alles auslöschende Schwarz. Und häufig fühlt sich Trauer auch genauso an: Wie der Nachklang einer Explosion, die im Inneren nichts als verbrannte Erde hinterlässt. Doch häufig fühlt sie sich auch nicht oder nicht nur so an. Vor einigen Monaten starb mein Vater. Wann begann die Trauer, die mich begleitet? Nach seinem Tod, zu Beginn seiner Krankheit, noch weiter davor? Wie viel Verdrängung grundiert meinen arbeitswütigen Alltag seither? An wie viel will ich mich nicht erinnern, muss es aber? Wo bleibt man selbst, wenn eine Person, die einen ein ganzes Leben gekannt und geliebt hat, verschwindet? Ist zumindest theoretisch ein Ende der Trauer denkbar? Wenn man trauert, lebt man in einer nicht enden wollenden Ausdehnung der Grauzone. Vielleicht findet sich die wahre Farbe der Trauer in den Abstufungen des Grau.

Yirgalem Fisseha Mebrahtu
Reminiszenz
Zurzeit ist es ausgeschlossen, in meinem Land eine Familie zu finden, deren Mitglieder sich nicht in den folgenden Lagen befindet. Denn eine jede Familie hat Mitglieder, die sehr wahrscheinlich entweder hilflos zu Hause, im Exil, in Flüchtlingslagern, in Gefängnissen, beim Militär oder in Arbeitslagern verstreut sind. Alle beisammen zu sehen ist selten. Ohne zu wissen wohin sie mich führen würde, trat auch ich eine Reise an, deren Ziel es war Sicherheit zu finden. Nun bin ich hier, sie brachte mich nach Deutschland. In einem ruhigen Park zu sitzen und über alles schreiben zu können was man will, sich frei bewegen, frei äußern zu können... Allein der Gedanke daran ist unmöglich - in Eritrea. Eine Welt, in der Menschen nicht der Grund für das Leid und den Tod anderer Menschen werden, in der Gerechtigkeit überall gleich verteilt wird, schlicht eine Welt zu sehen, in der die Benachteiligten und Schwächeren Trost finden, ist mein größter Wunsch.