Lesung und Gespräch — Ulrike Draesner und Christian Dittloff

Lesung & Gespräch

Ulrike Draesner und Christian Dittloff

Ulrike Draesner
"der verexer – feisty faust oder wie ich dem narzissten doch noch entkam"

Exmann, Scheidung, ein Kind dazwischen, er mit einer Neuen, Betrug um Geld, zehn Jahre her. Zehn Jahre für ein Gedicht, na wunderbar. Zehn Jahre, die erste Zeit komme ich im Schreiben kaum voran. Es ist eine Frage der Kraft. Der inneren Prozesse. Wie komme ich mit der gesamten Situation, mit mir und meine Anteilen daran, zurecht?
Sag: Was ging verloren? Was genau? Wird es aushaltbarer, wenn du weißt, wie es dazu kam? 
Mit der Zeit, mithilfe der Archäologie des Verlustes, entwickeln sich Stimmen. Ich begreife, was anders ist als an den Trennungen zuvor: die neue Geschichte geht auch andere an. Sie hat eine systemische, eine politische Dimension. Ich war einem Narzissten auf die Leimrute geflogen. Er war geschickt. Ich durchschaute es nicht, und wenn ich es durschaute, setzte er sein love bombing ein. Als ich diesen Begriff aus der Narzissmustheorie zum ersten Mal las, wurde mir fast übel. Allzugut erkannte ich diese Strukturen wieder.
Szenen einer Ehe und ihres Danach. Ein langes Gedicht. Der Fragen. Der Suche danach, wie eine innere Landschaft sich nach einer Implosion wieder zusammensetzen lässt. Wie man sich und ein Kind schützt. Antworten? Nein. Gefühle: schwer genug. Was ging verloren? Ein Mensch? Eine Illusion? Ich mir?

Eines habe ich jedenfalls gelernt: ich muss hier ein PS anhängen.
PS: Alles in meinem Text Der Verexer – Feisty Faust oder wie ich dem Narzissten doch noch entkam ist Erfindung. Nichts als Interpretation. Der „beschriebene“ Ego-Mann existiert nicht, er ist somit naturgemäß in keinem Fall ein Rechtssubjekt oder gar mein tatsächlicher Exmann. Nur Buchstabe, dieser Mann, ich bitte darum, Fiktion, made of nothing but words.

Christian Dittloff
"Gesuchtes Verlieren"

Im Athener Museum für Archäologie beobachte ich eine Szene: Ein Teenager posiert vor einer Zeus-Statue, indem er die körpergespannte Götterhaltung nachahmt, als sein Vater ihn fotografiert. Von dieser Szene ausgehend widme ich mich den verinnerlichten Vorbildern, die das eigene Handeln prägen und die ich als die Statuen im Denken bezeichne. Mein Text beschreibt einen inneren Ikonoklasmus, einen Denkmalsturz, also die politisch motivierte Beseitigung oder Zerstörung von Herrschaftssymbolen oder Herrscherbildern oder: ein symbolisches Sichtbarmachen des Machtverlusts des Patriarchats in meinen eigenen Handlungen. Vielleicht erarbeitet er den Statuen des eigenen Denkens aber auch einen Platz, an dem sie kontextualisiert zu betrachten sind – denn dies ist eine Aufgabe der Archäologie und die Aufgabe dieses Schreibens.